Spätsommer und Herbst kamen, und mit ihnen jede Menge Früchte. Über 300 Kubikmeter Wasser hatten wir den Sommer über an die Obstbäume und Sträucher gegossen um die Ernte und die neu gepflanzten Gehölze zu retten, und wir waren erfolgreich. (Vermutlich nur mit Ausnahme der beiden Sumpfzypressen, da hat alles Gießen nichts mehr retten können.)
Der Nashi-Baum trug die ersten drei Nashi-Birnen. Er ist ja noch klein und muss noch wachsen, da sind drei Früchte schon sehr zufriedenstellend.

Im alten Apfelgarten lagen dermaßen viele Äpfel herum, dass ich die gar nicht alle einsammeln und verarbeiten konnte. Kumpels kamen und nahmen kofferraumweise Obst mit zu sich nach Hause. Trotzdem war es für mich noch viel zu viel.

Das Obst, das liegen blieb, wurde von diversen Tieren gerne angenommen. Auch hier konnte man den Krieg Wespen gegen Hornissen wieder toll beobachten. manchmal saßen die Tiere aber auch friedlich nebeneinander und futterten angegorenes Obst. Können Insekten eigentlich besoffen werden? Ich meine, die haben ein anderes Blutkreislaufsystem als wir. Die haben ja sogar anderes Blut als wir. Funktioniert das trotzdem und wie vertragen sie es? Fragen über Fragen.

Der Birnbaum vor den Wohnzimmerfenstern trug ebenso wie die Apfelbäume reichlich Früchte. Im letzten Jahr haben wir keine einzige Birne essen können, alle Blüten waren von Spätfrösten vernichtet worden. Der Sommer 2018 entschädigte nun dafür. Auch hier waren es mehr als ich essen und verarbeiten konnte. Leider sind die Birnen sehr weich und verderben schnell, da sie auch aus sehr großer Höhe herunterfallen und entsprechende Druckstellen haben. Lagern kann man sie also nicht. Dafür sind sie in der Saftpresse sehr ergiebig. Wo eine Pressung Äpfel nur 1,5 bis 2 Liter Apfelsaft ergab, konnten mit einer Pressung Birnen, gleiches Volumen, bis zu 6 Liter Birnensaft erzielt werden.

Insgesamt wurden hier im Herbst weit über 250 Gläser Apfel- und Birnengelee eingekocht. Und ich liebe das Zeug.

Und dann habe ich noch eine Ernte der anderen Art eingefahren: Die Ergebnisse meiner Abschlussprüfung. Das Lernen hat sich gelohnt! Auch wenn am Ende echt die Luft raus war, und ich am Wochenende vor dem abschließenden Pflanzentest lieber mit meiner Fußballmannschaft in die Nähe von Leipzig zum Winckelmann-Cup gefahren bin. Der Pflanzentest wurde dann auch mit einer 1,6 die schlechteste Teilnote. Am Ende hat es sogar dazu gereicht, mit einer Gesamtnote von 1,26 fachrichtungsübergreifend Jahrgangsbeste zu werden.
Tja… und dann erwartete man eine Rede bei der Freisprechungsfeier von mir. Hatte ich wirklich gedacht, der Stress hätte ein Ende? Ich überlegte, was die da hören wollen. Oder was das Publikum erwarten würde. Vermutlich eine Mischung aus „Ich danke Person A, B und C“ und „Ich bin ja so toll“.
Das war mir dann aber irgendwie zu blöd. Ich begann zu philosophieren. Brachte meine nächtlichen (da bin ich am kreativsten) philosophischen Ergüsse zu Papier. Sortierte, formulierte aus, beriet mich mit meinem Bruder. („Kann ich das wirklich so bringen?“)
Heraus kam dann diese Rede:
„Moin moin!
Ein Wort vorweg. Wenn ich von Meistern, Lehrern oder Chefs spreche, dann meine ich natürlich nicht nur die männlichen Vertreter ihres Standes, sondern alle anderen auch. Es ist mir aber einfach zu mühsam, in Sternchen oder Schrägstrichen zu reden. Ich will auch nicht alle doppelt nennen. Liebe Frauen, bitte fühlt euch trotzdem angesprochen, es liegt mir fern euch zu vergessen.
Vor 12 Jahren habe ich meinen Schulabschluss gemacht. Damals habe ich gejubelt: Nie wieder Schule! Nie wieder Mathe! Und trotzdem stehe ich nun hier, habe 3 Jahre lang eine Berufsschule besucht, und auch Mathe war dabei.
Dafür, dass es nicht so schrecklich geworden ist, wie ich befürchtet hatte, möchte ich mich bei den Lehrern der Berufsschulen im Land Schleswig-Holstein ganz herzlich bedanken.
Im ganzen Land haben sich Chefs, Meister und Kollegen dafür eingesetzt, dass wir, nach erfolgreicher Ausbildung, heute hier stehen können.
Auch die Lehrgänge in Rendsburg und Ellerhoop waren zwar irgendwie anstrengend, aber vor allem interessant und lehrreich.
Allen Beteiligten daher ebenfalls ein herzliches Danke! Den Ausbildern für ihre Unterstützung und intensive Vorbereitung für die Abschlussprüfung, den Azubis für den guten Zusammenhalt in der Gruppe.
Aus meiner alten Schule in Berlin-Neukölln kannte ich bisher mehr Gegeneinander als Miteinander. Hier habe ich gelernt, dass das nicht so sein muss.
Ja, ich bereue meine Entscheidung, doch noch einmal zur Schule zu gehen, nicht. Doch wie oft musste ich mich dafür rechtfertigen!?
Nach dem Abitur stand für mich erst ein Freiwilliges Ökologisches Jahr an, denn ich wollte raus aus der Stadt, in der ich nicht geboren war und wo ich auch nicht endgültig untergehen wollte. Ich sehnte mich nach Freiheit, zurück auf’s Land.
Nach dem FÖJ studierte ich Biologie. Zumindest auf dem Papier. Denn eigentlich war ich mehr mit meinen 5 Nebenjobs beschäftigt, 3 davon mit gartenbaulichen Tätigkeiten. Einer der Gärtner bot mir seine Stelle an, wenn er in Rente ginge, in drei, vier Jahren. Das fand ich super, das war ja sogar noch genug Zeit für eine Lehre.
Plötzlich hatte ich es dann eilig, das Studium doch mal fertig zu kriegen.
Ein halbes Jahr lang war ich gleichzeitig Student und Azubi, das war seltsam und hat meine Krankenkasse zutiefst verwirrt. Und dann hatte ich den Bachelor of Science in der Tasche.
Das rief dann leider all die Menschen in meinem Umfeld auf den Plan, die der Meinung waren, nach dem Bachelor müsse zwangsweise ein Master folgen. Dann die Doktorarbeit, die Professur… ich dagegen habe mich dafür entschieden, das zu meinem Beruf zu machen, was mich glücklich macht.
Da kamen Argumente wie „Aber du bist doch so intelligent!“ Als ob Gärtner alle dumm wären.
Oder „Da verdienst du doch nix, das ist doch brotlose Kunst!“ Ich kenne viele Besserverdiener, die zwar ein dickes Konto haben, dafür aber mindestens genauso dicke stressbedingte Magengeschwüre.
„Ja, sehnst du dich denn gar nicht nach Erfolg?“
Interessante Frage, denn was ist eigentlich Erfolg?
Meine ehemalige Englischlehrerin aus der Oberschule gab mir ein Gedicht mit auf den Weg, das mir sehr wichtig geworden ist, und das ich hier kurz vorstellen möchte.
Der Dichter, Ralph Waldo Emerson, beantwortet in seinem Text mit dem Titel „What is success?“ die Frage, wie man Erfolg definiert.
Er beantwortet sie allerdings nicht so, wie man es in unserer karrieregetriebenen und geldgeilen Gesellschaft erwarten würde.

Gleich in der ersten Zeile heißt es, Erfolg wäre es, oft und viel zu lachen. Ist das nicht ein fröhliches Leben?
Und doch sind heute so viele Leute wegen stressbedingter Krankheiten in Behandlung, wie noch nie. Wir sind eine gestresste Gesellschaft, und stressen uns selbst und unser Umfeld mit stetigem Leistungsdruck.
Höher, schneller, weiter. Wer mit weniger als 100% zufrieden ist, gilt nicht mehr als bescheiden, sondern als unfähig.
Im Gedicht heißt es ebenso, ein erfolgreicher Mensch überstehe Unehrlichkeit, wisse ehrliche Kritik aber umso mehr zu schätzen.
Wenn man konstruktive Kritik bekommt, und sie an sich heranlässt, darüber nachdenkt, dann kann man sich verbessern und weiter entwickeln. Jeder auf seine Weise und nach seinen Fähigkeiten.
Wir Menschen sind eben nicht alle gleich, wir haben alle verschiedene Stärken und Schwächen und sehen auch noch so unterschiedlich aus.
Das ist auch gut so, denn sähen wir alle gleich aus, wär’s ziemlich eintönig.
Leider gibt es aber jene, die nur nach Äußerlichkeiten bewerten und nicht nach Fähigkeiten. Wie oft habe ich es erlebt, dass nach Herkunft, Geschlecht oder dergleichen bewertet wird?
Liebe Chefs, sagt nicht, Frauen könnten nicht anpacken, sondern lasst eure Bewerber Praktika machen und schaut selbst, wer belastbarer ist. Sagt nicht, die Flüchtlinge können nicht genug Deutsch, sondern redet mit ihnen und macht euch ein individuelles Bild von deren Sprachfähigkeiten.
Schaut in den Bewerbungen nicht nur auf Noten, sondern lernt die Leute kennen.
Ich denke da an den Cartoon, der schon seit einer Weile in diversen Variationen durch’s Internet geistert.

Zu sehen sind verschiedenste Tiere, die von ihrem Lehrer alle die gleiche Aufgabe gestellt bekommen, nach der sie bewertet werden sollen. Alle die gleiche, damit es gerecht ist.
Und so lässt er sie dann alle auf einen Baum klettern, was den Affen freut und den Fisch zur Verzweiflung treibt.
Er steht nun vor dem Prüfer als Versager da, aber in Wirklichkeit hätte er im Schwimmen Bestnoten erzielt. Trotzdem wird er hier schlecht geredet werden.
Und leider werden auch Menschen schlecht geredet.
Da sind wieder diese Stimmen, die maulen: „Du hast doch studiert… warum machst du denn eine Lehre für Hauptschüler?“ Und jedes Mal klingt das so, als wären Hauptschüler dumm und unfähig. Ich sehe das anders.
Da ist nicht der eine Abschluss mehr wert als der andere, ich finde, die kann man überhaupt nicht vergleichen. Oder man vergleicht Fische und Affen.
Ich glaube nicht, dass meine Kollegen langsamer topfen oder weniger gründlich Unkraut jäten, weil sie kein Abitur haben.
Und dennoch reden Gärtner andere Gärtner schlecht. In einem anderen Betrieb fragte ich mal den Chef, ob der Kollege GaLaBauer oder BluZi wäre und bekam als Antwort: „Der ist nur Werker.“ Warum das „nur“? Sind denn Werker schlechtere Menschen? Ich sage nein!
Wenn alle Menschen Professoren wären, wer würde dann all die Pflanzen produzieren, verkaufen und auspflanzen, an denen sich tagtäglich so viele erfreuen? Wir Gärtner sollten aufhören, uns gegenseitig kleinzureden und wir sollten es auch nicht mehr zulassen, wenn Menschen außerhalb der gärtnerischen Berufe unseren Berufsstand schlecht reden.
Zurück zum Gedicht.
Erfolg ist, Schönheit wertzuschätzen und das Beste in anderen zu finden. Sie nicht in Schubladen zu stecken und nach dem immer gleichen System zu bewerten, sondern auf die individuellen Stärken zu achten.
Jeder von uns hat Stärken. Auch diejenigen, die ihren Abschluss vielleicht nur mit Ach und Krach geschafft haben, oder in ein paar Monaten nochmal ranmüssen.
Auch die „Erfolgreicheren“ unter uns haben Schwächen, nur waren die vermutlich gerade nicht prüfungsrelevant.
In Emersons Gedicht heißt es, ein erfolgreicher Mensch hinterließe die Welt etwas besser als er sie betreten hat, zum Beispiel durch ein schönes Beet im Garten. Und das können wir alle, das ist unsere gemeinsame Stärke.
Erfolg ist, zu wissen, dass jemandes Leben leichter war, weil man selbst gelebt hat.
Ich habe diese Zeile früher immer gerne auf meine afrikanischen Patenkinder bezogen, die von meinem Geld zur Schule gehen und einen Beruf erlernen können. Man kann diesen Satz aber auch wunderbar in den Gartenbau übertragen.
Unsere Städte wären trist und grau, gäbe es nicht Gärtner wie uns, die dort Bäume pflanzen, Mittelinseln zum Blühen bringen, Parks und Grünanlagen zu Stätten der Erholung werden lassen.
Wir produzieren die Pflanzen, die als Geschenke und Liebesbeweise Freude bereiten. Wir geben Menschen eine würdevolle letzte Ruhestätte, statt einer öden, leeren Fläche. Wir produzieren Obst und Gemüse, das von anderen genossen wird.
Lasst uns stolz sein auf das, was wir sind, was wir leisten!
Fast tun mir die Personen leid, die da draußen wieder rechte Parolen brüllen, denn sie sind nicht erfolgreich.
Sie können mit ehrlicher Kritik nichts anfangen, sehen nicht das Beste in anderen, und es lebt auch niemand besser oder einfacher, weil sie existieren.
Sie müssen andere herunter reden und brauchen ein Feindbild um sich selbst ein bisschen besser zu fühlen.
Wir dagegen können nun mit einem Abschluss hier raus gehen, sagen DAS haben wir geschafft! Wir sind alle erfolgreich, wir gehen unseren Weg. Wir sind es, die die Welt in bunten Farben erblühen lassen können.
Dabei wünsche ich jedem einzelnen von euch viel Spaß!“
(Die beiden Bilder, die während der Rede im Hintergrund auf einer Leinwand eingeblendet wurden, habe ich aus dem Internet gezogen. Die Quellen stehen unten mit drauf.)

Ich hatte nun die Rede hinter mir, keine nervösen Zustände bekommen vor so vielen Leuten. Ich hatte es wirklich geschafft.
Meine Freude darüber teilte ich mit meinen Freunden auf Facebook:
„Die letzte große Hürde der Ausbildung ist genommen.
Die Freisprechungsfeier liegt hinter mir. Ich habe eine Rede gehalten und es überlebt.
Und sogar die Lernerei hat sich gelohnt! Die Thea-Tietgen-und-Bruno-Tietgen-Stiftung lässt für die Jahrgansbesten einen Bildungsgutschein springen. Kettensäge, ich komme! AS Baum I hab ich ja schon, im Januar ist dann AS Baum II dran!
Ich habe das Gefühl, wieder ein Stück gewachsen zu sein.
Nicht wegen der guten Noten.
Nein, ich habe doch tatsächlich vor der Freisprechungsfeier darüber nachgedacht, was ich anziehen soll. Habe mir sogar ein schickes Oberteil gekauft. Habe überlegt, welche Hose oder welchen Rock ich dazu tragen soll… an den Abiball gedacht. Da wollte ich damals eigentlich gar nicht hin. Aber dann hörte ich auf dem Klo, wie in den Kabinen neben mir über mich gelästert wurde. „Diese Iska… die kommt bestimmt in so ’ner Jogginghose.“ – „Ja, und die Haare! Die sind so kurz, damit kann die ja gar nix machen!“ – „Ach was, die kommt gar nicht.“ — da kaufte ich mir ein Kleid, schicke Sandaletten (ja, in Größe 45, schön teuer), färbte mir die Haare schwarz-rot-gold (mein Abiball war zeitgleich mit der Fußball-WM 2006) und tauchte da auf. Da waren einige Leute echt platt.
Und nun hab ich nachgedacht. Für wen hab ich mich da zurechtgemacht? Für mich? Nee. Doch irgendwie für die anderen. Und da wanderte das schicke Oberteil in den Schrank, andere Dinge wurden hervorgekramt. Ich wollte schön sein, aber für mich und niemanden sonst.
Das schlabberig-locker sitzende Hemd habe ich 2015 auf einem traditionellen Markt in Kenia gekauft. Den obersten Halsschmuck (hellblau) sowie den dünnen, untersten („extra für dich, in Deutschlandfarben!“) habe ich von meinem Patenkind Paapai und seiner Familie geschenkt bekommen. Das dunkelblaue Teil bekam ich von einem Massai zum Geburtstag, mit dem ich in Masai Mara lange am Lagerfeuer saß und über unsere Kulturen lernte. Das breite, rote Ding kommt wieder vom Markt… und nie habe ich mich so pudelwohl und glücklich gefühlt wie in Kenia! Dieses Gefühl wollte ich haben, wenn ich da vor 300 Leuten eine Rede halten muss. Da brauchte es Selbstbewusstsein.
Und der Plan ging voll auf. Kulûk kuluzat narfik!
Scheiß auf Konventionen. Scheiß auf das, was andere von dir erwarten. Das hier ist mein Leben.
Ich mache mich nicht für andere schick. Ich schaue in den Spiegel und sehe mich.
Ich bin wieder ein Stück weiter und danke allen, die mir bei diesem Schritt hilfreich waren.“
(Das Foto wurde mir netterweise von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein überlassen. Herzlichen Dank an Frau Nissen und Herrn Panhorst!)